Out of Africa
Peter und Maureen Schnyder, langjährige Lehrkräfte an der Sekundarschule Turbenthal-Wildberg, gründeten 2004 den Verein Seroma Christian High School und Gilgal Primary School, Uganda. Sie verbrachten diesen Herbst über zwei Wochen in Uganda, um sich über den Stand der Projekte ein Bild zu machen.
​
Schon im Flugzeug von Istanbul nach Kigali und Entebbe geht es recht orientalisch und afrikanisch zu und her. Afrikaner mit Unmengen von Kabinengepäck, die jeder IATA-Regel spotten und viele müde Mekka-Rückkehrer prägen im Oktober das Bild im Flugzeug. Die Mekka-Pilger werden von ihren Familien morgens 3 Uhr in Entebbe mit Begeisterung, Trommeln und Pfeifen empfangen, während wir vom Fahrer zu unserer Unterkunft nach Mukono gebracht werden. Wir gehen mit dem Ruf des Muezzin um halb sechs zu Bett.
​
Tuuut – tuuut – tuuut – tut – tut – tut. Der morsende Vogel weckt mich und ich öffne schlaftrunken meine Augen. Es ist schwül-heiss, doch bald überrascht uns ein gewaltiges Gewitter mit Getöse und tropischen Sturzbächen vom Himmel. Die Regenperiode meldet sich an und die Ugander schauen nach der beinahe dreimonatigen Trockenperiode dankbar zum Himmel, der ihnen das ersehnte Nass für das Wachstum ihrer Pflanzen schickt.
​
Die Gilgal Primary School
​
Zur Zeit werden an unserer Primarschule 526 Kinder von 21 Lehrkräften und 12 Hilfskräften (Köche, Aufsicht, Handwerker, Bauer und Wache) betreut und unterrichtet. Die Kinder sind entweder Voll- oder Halbwaisen und die Schule lebt zum grössten Teil von Spenden aus der Schweiz. In Uganda besteht Schulpflicht, doch müssen die Eltern an den Staatsschulen Schulgeld bezahlen und Waisen haben nun einmal weder Eltern noch Geld. Dieser Umstand erklärt, dass 35% aller Kinder in Uganda Analphabeten sind. Wovor haben viele afrikanische Regierungen Angst? Dass zu viele Menschen lesen und rechnen lernen? Gerade an diesem Punkt müsste Entwicklungsarbeit einsetzen. Zu viele, auch westeuropäische Staaten sind stolz auf ihre Grosszügigkeit, dabei wissen sie genau, dass ein erheblicher Teil der Gelder zweckentfremdet wird, oft in den Hosentaschen der Regierungsmitglieder versickert. An diesem Zustand wird solange nichts ändern, bis wir lernen für unsere Entwicklungsgelder keine politischen oder wirtschaftlichen Gefälligkeiten mehr einzufordern. Die zwischenstaatlichen Entwicklungsgelder werden von vielen Schwarzafrikanern kritisch wahrgenommen, da diese zu oft in die falschen Taschen fliessen.
​
Wie jedes Jahr findet ein festlicher Empfang an unserer Schule statt. Nicht nur Rechnen, Lesen und Schreiben, auch die Kultur und Kunst Ugandas haben Platz im Stundenplan. Nach vier Stunden Tanz, Gesang, Ansprachen und Essen gehen wir zum geschäftlichen Teil über. Die Schule ist jetzt 12 Jahre alt und wir haben beschlossen, alle Einrichtungen zu renovieren und in einem guten Zustand zu erhalten. Das tropische Klima nagt an der Bausubstanz. Nun gilt es alle Arbeiten zu kontrollieren und abzunehmen. Nicht nur der äusserliche Zustand der Schule, auch die qualitative Entwicklung des Lernbetriebes macht uns glücklich. Die Gilgal Primary zählt mittlerweile zu den Vorzeigeschulen des Bezirks Kayunga. In den kognitiven und Kunstfächern erreicht die Schule in Querschnitttests laut dem Ugandan National Examination Board in den letzten fünf Jahren regelmässig Spitzenplätze.
​
Schulgarten und Landwirtschaft
Auch die Landwirtschaft arbeitet zu unserer vollen Zufriedenheit. Nun hat das Erziehungsdepartement ein neues Gesetz erlassen, wonach die Schulen einen umfassenden Schulgarten pflegen müssen, da etwa 85% der ugandischen Bevölkerung von der Landwirtschaft und Gartenbau leben. Unser Schulgarten ist für unsere 526 Schülerinnen und Schüler zu klein und wir müssen angrenzend an unser Schulgelände 0.8 Hektaren Land kaufen, um den staatlichen und sinnvollen Ansprüchen gerecht zu werden. So lernen die Kinder nebst dem Gartenbau das 1x1 des Kompostierens und des organischen Düngens. In unserer Landwirtschaft werden Früchte und Gemüse für den Eigenbedarf gezogen, Überschüsse werden vermarktet. Der Kaffee wird für die Schule in zwei Jahren zur Milchkuh werden, auf Englisch „cash crop“. Das verdiente Geld fliesst wieder in die Schule zurück. Der Fahrer braucht mit dem Geländewagen über eine halbe Stunde, um zur Landwirtschaft zu gelangen. Das ist der Grund, weshalb die grossen Schüler nur zu Erntearbeiten auf die Landwirtschaft gefahren werden. Den Schulgarten hingegen müssen sie regelmässig pflegen. Ohne Gärten gäbe es für viele Ugander kaum ein Überleben. Die zwei Regen- und Trockenperioden erlauben glücklicherweise meistens zwei Ernten.
​
Abfall und Umwelt
Vor mehr als einem Jahr haben wir mit der umweltgerechten Entsorgung von Abfall und mit Kompostieren begonnen. Wir betreiben heute zwei Kompostieranlagen und eine Entsorgungsstelle anorganischer Abfälle (Plastik und Metall). Das angrenzende Dorf Namaliiri bringt viele Abfälle zur Entsorgung in die Schule und der „Waste Manager“, der Abfallbeauftragte bestreitet mit seiner Arbeit seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Plastik und Metall. Aus Abfallplastik werden 20-Liter-Wasserbehälter hergestellt.
Wir fahren auf einer der wichtigsten Strassen Ugandas (Mukono-Gulu) zu unserer Bleibe zurück. Wir retten uns rechtzeitig in unseren Rundbau. Der Lärm des nächtlichen Tropensturms hört sich wie 20 gleichzeitig startende Düsenjets an und wir fragen uns, ob unser Rundbau dem Inferno widerstehe. Viele Bananenbäume liegen am Morgen flach und wir sind schadlos davongekommen.
​
Menschenwürde und Gesetz
Die geplanten und diskriminierenden Gesetze gegen Menschen gleichgeschlechtlicher Liebe brachte den ugandischen Staat in die internationalen Schlagzeilen. Wir sind sehr froh, dass die ganze Vorlage vom Präsidenten gestrichen werden musste. Pädophilie hätte die Todesstrafe zur Folge gehabt. Es waren die meisten christlichen Kirchen und NGO, die gegen diese drakonische Vorlage die Initiative ergriffen. Zudem drohten die USA mit der Halbierung der Entwicklungsgelder. In der dritten Oktoberwoche 2016 kam ein „Draft bill to outlaw capital punishment“ (generelle Vorlage gegen die Todesstrafe) ins Parlament. Jedermann rechnet fest mit deren Abschaffung. Durch diese zivilrechtliche Krise kam Uganda mit Hilfe Englands und den USA zu einem brauchbaren Zivilgesetz. Eines wundert mich: Wo sind die Proteststimmen gegen eine ganze Anzahl afrikanischer, asiatischer und arabischer Staaten (Nigeria, Zimbabwe, Sudan, Saudiarabien, Somalia, Mauretanien, Nordkorea, China u.a.), wo besonders in Saudiarabien nebst Schwulen und Lesben auch viele Christen in Verliessen festgehalten werden und nicht selten mit dem Tod „bestraft“ werden. Mund, Augen und Ohren schliessen sich, wo viel Geld auf dem Spiel steht. Diskriminierung und gar die Todesstrafe, egal aus welchen Gründen, gehört an den Pranger.
​
Arme Länder stabilisieren
In Anbetracht der Flüchtlingsströme haben wir den Auftrag, durch die Verbesserung der Bildung, Menschen in wenig entwickelten Ländern eine Existenz zu ermöglichen. Wenn wir diese Arbeit und selbstlose Investition verpassen, werden neue Katastrophen umso wahrscheinlicher, was wiederum unsere eigenen Länder und Kultur destabilisiert. Diese Argumente bilden einen Teilauftrag an unsere Lehrerschaft, nämlich Bildung zu vermitteln, korruptionsfrei und christliche Ethik mit den Kindern zu leben.
​
Ein fröhlicher Sonntag
Wir besuchen am Sonntagmorgen den Gottesdienst in der Staatskirche Church of Uganda. Sie gehört zu der anglikanischen Kirche. Am frühen Morgen um 7 Uhr beginnt der Gottesdienst für junge Familien und Teenagers. Schon vor der Kirche werden wir von lebhaftem Soul-Rock empfangen. Der Negrospiritual „Dance to the Lord“ bringt das ganze Gebäude in Bewegung. Etwa 700 junge Afrikaner tanzen in vollem Schwung. Nur schon dieser fröhliche Ausdruck von Glauben wirkt befreiend für die Seele. Der Glaube im Alltagsleben sichtbar machen, wird auf unvergessliche Weise vom Pfarrer und von den Besuchern dargelegt.
​
Wir entfliehen der Diesel-Russ-Staubglocke Kampalas zu ugandischen Freunden, wo es einmal mehr Matoke (Kochbananen), Süsskartoffeln,Yams, Kassawa, Böhnchensauce und Huhn im DC-3-Alter gibt.
​
Beim Durchqueren eines kunterbunten Riesenmarkts werde ich ständig aufgehalten: „Muzungu, take a photo of me“. Fünf Stoffhändler reden gleichzeitig auf uns ein. Wir treffen eine salomonische Entscheidung und wählen von jedem wunderschöne afrikanische Stoffbahnen aus. Alle haben Grund zum Lachen und Zeit für ein paar Spässchen.
​
Hast du einen Musikwunsch in Uganda? Ich gehe in einen CD-Laden, bestehend aus drei Computern, wo mir nach meinen Wünschen eine CD erstellt wird. Tausende von Titeln stehen zur Auswahl. Anderntags gehst du beim CD-Brenner vorbei und holst dir das gewünschte Produkt ab. Der Ladeninhaber rechnet mit den Besitzern der Urheberrechte ab. Die beiden CDs mit je 10 Titeln ugandischer Volksmusik kosten 12 CHF.
​
Wahl oder Abwahl?
In Uganda ist das Wahlgeplänkel voll im Gang. Der alte Museveni lässt sich zum fünften Male als Präsident der Republik Uganda wählen. Was vor acht Jahren noch hoffnungsvoll aussah, hat sich weder ökonomisch noch gesellschaftspolitisch entwickelt. Die durch eine erschlichene Verfassungsänderung nicht endenwollende Präsidentschaft brachte lediglich, dass die Kabinettsmitglieder sich gegenseitig die Taschen mit Geld stopfen. Korruption wird zwar oft aufgedeckt, aber zu freundlich geahndet. Die Ugander werden unruhig und an der grössten Universität Makere kommt es immer öfters zu Unruhen. Bildung und Information ist sehr wichtig. Nur so lassen sich die Menschen nicht mehr alles gefallen. Weshalb wird Yoweri Museveni trotz sich immer stärker manifestierender Unzufriedenheit wieder gewählt werden? Die Ugander verdanken Museveni, dass er mit beiden Gewaltherrschern, Idi Amin und Milton Obote, aufgeräumt hat und sich nach hartem Kampf 1986 durchgesetzt, die Waffen im Land eingezogen und zerstört hat. Erst seit 1986 ist es wieder möglich sich angstfrei auf die Strasse zu begeben. Diesen neuen Frieden verdanken die Ugander Museveni mit seiner Wiederwahl, obwohl seine politischen Leistungen während den letzten fünf Jahren zu Kritik Anlass geben.
​
Unsere Zeit in Uganda läuft langsam ab. Den ugandischen Unabhängigkeitstag verbringen wir in Lubogo. Hunderte von Anbietern versuchen dich zu einem Kauf ihrer Produkte zu überzeugen, Gaukler, Artisten, Zauberkünstler beleben das fröhliche Treiben inmitten tausender von Menschen. Die Begeisterungsfähigkeit der Ugander ist umwerfend. Du wirst automatisch Teil ihrer Produktionen: Ballartistik, Strassentheater usw. alles dreht sich in atemberaubendem Tempo um dich herum, bis dir beinahe schwindlig wird. Von Solartechnologie bis zu ugandischen Weinen gemischt mit Mango- oder Ananassaft wird alles angeboten. Wir verlassen den Rummelplatz nach drei Stunden und geniessen nach dem Klamauk unsere Ruhe.
​
Dein Freund und Helfer
Während den letzten Tagen führen wir viele Gespräche über die neuen Aufgaben und Zukunft mit der Schulleitung von Gilgal. Wie jedes Jahr sind wir tief beeindruckt von der Arbeit unserer Lehrerschaft und Schulleitung.
​
Am Morgen des letzten Aufenthaltstages müssen wir mit der begrenzten Ladekapazität unserer Gepäckstücke zurecht kommen. Welche Geschenke werden die Flugreise antreten? Ein Koffer darf ohnehin nicht mehr als 30 kg wiegen. Jeder Kubikzentimeter wird akribisch ausgenützt. Der Tag der Rückreise verlief des öfteren ereignisreich. Wir rechnen eine grosszügige Zeitreserve ein. Vor einigen Jahren nickte das Chassis unseres Wagens ein. Diesmal kommt uns die Polizei in die Quere. Unser Fahrer hat seinen Führerschein zu Hause vergessen. Kein Problem in der Schweiz, in Uganda eine Staatsaffäre. Die Diskussion zwischen Fahrer und Polizei wird immer lauter, bis er am Weiterfahren gehindert wird.
​
Unser gesamtes Gepäck befindet sich im Kleinbus und wartet auf den Weitertransport zum Flughafen. Wir mobilisieren einen alten und weisen Ugander, um unseren Fahrer wieder aus der Polizeistation „heraus zu schwatzen“. Wir verstecken uns hinter einem Gebüsch, damit die Diskussionen ohne Weisse stattfinden können. Muss jemand nachgeben, soll er nicht vor den Weissen das Gesicht verlieren.
​
Das letzte Hindernis ist genommen. Der Fahrer wird nach dreistündigem Palaver in die Freiheit entlassen.
​
Gut zu wissen, dass an unserer Schule sehr wertvolle Arbeit geleistet wird. Die Resultate dürfen sich sehen lassen. Uns ist aber auch bewusst, dass noch viel Arbeit auf uns wartet. Unsere Waisenkinder haben nun mal kein Geld und bedürfen unserer Unterstützung. Durch Schulbildung und Berufsausbildung jungen Menschen eine Lebensgrundlage anzubieten ist ein absolutes Herzstück der Entwicklungsarbeit und hilft entscheidend mit, die labile Lage in armen Ländern zu stabilisieren und Migrantenströme zu verhindern. Wenn wir das nur verstehen würden...
​